WANDERSCHNECKE

Entschleunigung und Achtsamkeit sind gerade sehr in Mode. In den Sozialen Medien werden unter Hashtags wie #achtsamkeit oder #entschleunigung Selbstportraits, Essensportraits und Naturbilder verbreitet.

Beim Betrachten der Essensportraits frage ich mich, ob die Entschleunigung darin besteht, kurz ein Foto vom Essen zu knipsen und auf Instagram zu posten, bevor ich es herunterschlinge. Oder geht es darum das aufwändigste Gericht zuzubereiten? Im teuersten Restaurant zu essen? Die gesündesten oder ausgefallensten Zutaten auf abenteuerlichste Weise zusammenzukippen?

Besteht die Achtsamkeit darin, dass ich die Blumen, Seen und Wälder auf meinem Smartphone betrachte? Oder geht es dem Fotografen darum, sich am entlegensten Strand in Szene zu setzen? Oder darum zu demonstrieren, dass er sich mit dem noch so unscheinbarsten Blümlein in einer Asphaltritze zufrieden geben kann?

Ich würde diese Fotografen, Gourmets, Models und Autoren gerne zu einem Waldspaziergang mit mir und meinem Zweieinhalbjährigen einladen. Jonathan sagt er, sei eine „Wanderschnecke“. Das ist ein sehr schönes und sehr treffendes Bild.

Eine Geschwindigkeit von einem halben Kilometer pro Stunde ist Entschleunigung pur. Ganz schön anstrengend, finde ich. Sei mal ehrlich, schaffst DU das aus eigenem Antrieb? So ganz ohne nervös zu werden, herumzuquengeln oder dein Smartphone zu zücken? Sorry, wir reden nicht vom Stadtpark, sondern vom Wald. Kein Empfang!

Vielleicht ist das eine gute Gelegenheit mich in Achtsamkeit zu üben. Oder doch eben mal schnell ein paar Fotos von dem Blumen zu machen? Freudiges Quietschen neben mir. Jonathan hat unter einer der Blumen, die ich gerade knipsen wollte, eine grün-schwarze Raupe entdeckt. Die war mir beim Blick von oben völlig entgangen. Jetzt soll sie unbedingt auf seiner Hand kriechen, damit er sie genau betrachten kann. Igitt, die Raupe anfassen?

Einige Zeit später und wenige Meter weiter, erkennt er in einem Ast mit einem Stück loser Rinde einen Bagger. Nachdem mehrere Steine verladen wurden, geht es wieder einige Schrittchen weiter. Dann stürzt sich Jonathan auf ein paar unscheinbare grüne Sträucher und präsentiert kurze Zeit später stolz ein paar winzige Heidelbeeren. Daraus soll eine Sauce für das Eis zum Nachtisch gemacht werden!

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