KINDERBETREUUNG

Brief an einen Politiker

Sehr geehrter Herr K.,

ich habe Ihr Portrait in der Zeit gelesen. Die Themen, für die Sie sich einsetzen, finde ich durchaus gut. Nur über eines ärgere ich mich maßlos: die Kinderbetreuung kostenlos machen. Zugegeben, es ist nicht das erste Mal und ich könnte mich genauso gut an einen anderen Ihrer Politikerkollegen wenden. Mich hat jedoch der etwas seltsame Absatz des Porträts über die Impulskontrolle inspiriert. Deshalb frage ich SIE: Sind die Kosten wirklich das drängendste Problem bei der Kinderbetreuung?

Als Mutter eines nicht ganz Zwei- und eines Vierjährigen würde ich dem widersprechen. Ich würde mich freuen, wenn bezüglich der Kinderbetreuung endlich folgende Themen eine bessere Lobby bekämen:

  • angemessene Entlohnung der Erzieher(innen)
  • bessere Betreuung der Kinder
  • Orientierung an den Bedürfnissen der Familien – oder sollte ich hier gleich besser „der Mütter“ schreiben?
  • ausreichend bezahlbare (nicht kostenfreie!) Betreuungsplätze

Erzieher(innen) üben einen Beruf mit extrem hoher Verantwortung aus. Als Mütter legen wir das Wohl unserer Kinder und als Staat in gewisser Weise unsere Zukunft in ihre Hände Das sollte auch mit einem entsprechenden Gehalt gewürdigt werden. Dies wäre nicht nur im Sinne der Kinder, sondern auch im (doppelten) Sinne der Gender-Pay-Gap. Es würden nicht nur die zahlreiche Frauen, die als Erzieherinnen arbeiten, gerechter entlohnt werden, sondern auch ein Beruf attraktiver gemacht werden, in dem es zurzeit viele offene Stellen zu besetzen gibt. Ausreichend Erzieher(innen) würden eine bessere Betreuung der Kinder ermöglichen . Das wiederum käme einer anderen Gruppe beruflich in der Regel schlechter gestellten Frauen zugute, die sich ebenfalls um die Kinderbetreuung kümmert: den Müttern.

Als Mutter erlebt man nach der Geburt seines ersten Kindes fast zwangsläufig einen Karriereknick. Es ist nahezu unmöglich einen Betreuungsplatz vor Beginn des offiziellen Kindergartenjahrs zu bekommen. Das führt in den meisten Familien dazu, dass die Mutter länger als geplant und gewünscht in Elternzeit bleiben muss. Bekommt das Kind keinen Platz in einer staatlichen Kita, muss die Mutter überlegen, ob sie noch länger daheim bleibt, einen Platz einklagt oder versucht das Kind in einer privaten Einrichtung unterzubringen.

Eine Klage dauert nicht nur mehrere Monate, sondern kann auch zur Folge haben, dass man sein Kind in eine bis zu 30 Minuten entfernte Einrichtung bringen muss. Liegt sie in der entgegengesetzten Richtung der Arbeitsstelle macht das bis zu 60 Minuten pro Weg und 120 Minuten zum Hinbringen und Abholen. Lohnt sich da das Arbeiten noch?

Also doch die private Kita? Bei einem Kind sind die ca. 1.000 € im Montag für einen (Ganztags-)Platz vielleicht noch mit einem guten Gehalt zu stemmen. Viel vom Gehalt der Mutter bleibt da aber nicht mehr übrig, wenn man es gegen die Betreuungsgebühren aufrechnet. Und was ist, wenn man sich das gar nicht leisten kann oder mehrere Kinder betreut werden müssen? Und unterstützt man damit nicht die Fluktuation der Erzieher(innen) aus den staatlichen Einrichtungen hin zu den besser zahlenden privaten? Bleibt da nicht die Chancengleichheit auf der Strecke? Da stößt es einem schon übel auf, wenn an der Tür auch noch ein Schild „Gefördert durch den Freistaat Bayern/…“ hängt.

Den Mangel an Erzieher(innen) bekommt man auch zu spüren, wenn man einen der heiß begehrten Plätze in einer staatlichen Einrichtung ergattert hat. Er schlägt sich beispielsweise in freitäglichen Mails mit dem Inhalt „Aufgrund der Personalsituation kann Ihr Kind nächste Woche leider nicht betreut werden /muss ihr Kind früher abgeholt werden/ kann nur die Hälfte der Kinder betreut werden.“.

Das Thema Kinderbetreuung ist also eng verwoben mit dem Thema der Gleichberechtigung der Geschlechter. Als Mutter wundert man sich daher, warum es immer wieder Politiker gibt, die sich darüber wundern, dass Frauen immer noch weniger und in den schlechter bezahlen Jobs mit weniger Karrierechancen arbeiten als Männer. Trotz der ganzen Bemühungen: Elternzeit für Väter! Kostenlose Kitas! Betreuungsgeld!

Den Mangel an Erzieher(innen) bekommt man auch in dem Wunsch zu spüren, dass das blitzgescheite und sprachlich sehr gewandte Kind wegen mangelnder Impulskontrolle unter Berücksichtigung der Personalisituation doch bitte in eine HTP (Heilpädagogische Tagesstätte) gehen solle. Wie war das noch mit dem Recht auf Inklusion? Aber klar, dafür bräuchte man eher mehr Personal und auf keinen Fall unbesetzte Stellen. Und wenn schon nicht HPT, dann wenigstens in eine Schulvorbereitende Einrichtung im Jahr vor der Einschulung wechseln: „Aber leider müssen Sie sich da im Klaren sein, dass die Kinder dort gegen 11:30 Schluss haben. Eine Anschlussbetreuung gibt es nicht und kann unser Kindergarten auch nicht übernehmen.“.

Für eine gute und liebevolle Betreuung meiner Kinder zahle ich gerne einen Beitrag, gestaffelt nach dem Einkommen und Anzahl der Geschwister. Investieren Sie diesen doch in die Verbesserung der Betreuung: in die Besetzung der offenen Stellen mit angemessen bezahlten Erzieher(innen), in die Verbesserung der Betreuung, insbesondere auch für Kinder mit speziellen Bedürfnissen, und in die Schaffung eines ausreichenden Betreuungsangebots, das es den Müttern ermöglicht einer lohnenswerten beruflichen Tätigkeit nachzugehen.

Wir wohnen in München und vielleicht haben die Mütter und Familien in Ihrem Wahlkreis nicht genau die gleichen Probleme wie wir. Ich bin mir jedoch ganz sicher, dass Sie Ihnen von ähnlichen Problemen berichten könnten. Der Föderalismus bei der Bildung ist ja leider auch so ärgerliches Thema, das einem als Eltern verzweifeln lässt. Leider werden immer wieder Macht und Profilierungssucht über das wohl unserer Kinder gestellt. Daher hoffe ich, dass ich Sie – auch wenn ich Sie nicht wählen kann – ein wenig inspirieren konnte.

Mit freundlichen Grüßen

Tina Stimm-Koch

PS: Ich überlege, ob ich diesen Brief in ähnlicher Form an die Zeitungen schicken werde, die gerade bemerkt haben, dass in den Betreuungseinrichtungen kein Schweinefleisch angeboten wird. Ich kenne das, seit mein Ältester Anfang 2016 in die Krippe geht, nicht anderes und es ist mir ehrlich gesagt genauso egal wie die Frage, ob die Erzieherin Kopftuch trägt. So was interessiert doch keine Mutter. Hauptsache das Essen ist gesund und schmeckt. Und wer bereit ist, den verantwortungsvollen Job als Erzieherin zu übernehmen, und lieb mit den Kindern umgeht, kann gerne Kopftuch tragen. Haltet bitte wieder nach Krokodilen im Badesee Ausschau!

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