MASCHINEN

Rezension: Maschinen wie ich

Wenige Themen beflügeln in dem Maße unsere Phantasie und laden zu Vor-Urteilen ein, wie es die Künstliche Intelligenz tut. Nimmt sie uns Arbeitsplätze weg? Wird sie uns mehr schaden oder nutzen? Wird sie uns eines Tages überlegen sein? Wie wird sich das zwischenmenschliche Verhältnis von Mensch und Maschine gestalten? Zeit, einen Blick in die Literatur jenseits der typischen Sci-Fi-Weltuntergangszenarien zu werfen.

Was bedeutet Künstliche Intelligenz für unser menschliches Zusammenleben?

Der britische Bestsellerautor Ian McEwan erfindet in Maschinen wie ich die achtziger Jahre neu und widmet sich mit der Frage, was die Künstliche Intelligenz für unser menschliches Zusammenleben bedeutet, einem gesellschaftlichen Großthema unserer Zeit. Dank der Forschung von Alan Turing kommen die ersten wirklich funktionsfähigen künstlichen Menschen auf den Markt. Sie sind ausgestattet mit lebensechter Motorik und Mimik, fähig zu Sex, haben den Wortschatz von Shakespeare und Zugriff auf alle Datenbanken. Die erste Produktionsreihe umfasst 12 Adams und 13 Evas. Die Evas sind schnell ausverkauft.

Künstliche Menschen waren ein Klischee schon lange, bevor es sie gab, weshalb sie manche, als sie dann endlich da waren, enttäuschend fanden. Die Phantasie, so viel schneller als die Historie, als jeder technologische Fortschritt hatte diese Zukunft bereits in Bücher durchgespielt, dann im Kino und Fernsehen, als könnten uns menschliche Schauspieler mit glasigem Blick, ruckartigen Kopfbewegungen und steifem Kreuz auf das Leben mit unseren Vettern aus der Zukunft vorbereiten.“

Maschinen wie ich

Charlie, ein zweiunddreißigjähriger Lebenskünstler, ist frisch verliebt in seine zehn Jahre jüngere Nachbarin Miranda, als sein Adam geliefert wird. Er beschließt die Festlegung der Persönlichkeittsparameter zusammen mit Miranda vorzunehmen. Adam soll dadurch das Kind ihrer gemeinsamen Liebe werden. Doch es kommt anders als gedacht. Adam tritt mit Charlie in Konkurenz um Miranda. Damit konfrontiert er die beiden mit der Frage, ob eine Maschiene lieben und leiden kann. Als dann auch noch ein echtes Kind mit ins Spiel kommt und Adam mit seiner Prinzipientreue das Glück der sich gerade bildenden Familie in Gefahr bringt, ist Unheil vorprogrammiert.

Die Gegenwart ist ein fragilen Konstrukt

Die Rückverlegung des Geschehens in das Jahr 1982, das unserer Gegenwart gleichzeitig weit voraus ist, schafft ein spannendes Szenario für den Roman. Auch der Ich-Erzähler Charlie überzeugt. Seit der Einleitung von Hermann Hesses Glasperlenspiel hat kein zweiter Ich-Erzähler seine Phantasiewelt so real verkauft. Gerade wenn man in der (britischen) Geschichte nicht so fit ist, ist es interessant herauszufinden, welche Fakten stimmen und wo McEwan die Geschichte umgeschrieben hat. Aber was heißt Phantasiewelt? Hätte die Geschichte nicht genauso gut einen anderen Lauf nehmen können? Hier eine andere Entscheidung, dort ein anderes Zufallsereignis und unsere heutige Realität sähe ganz anders aus.

Die Gegenwart ist ein unwahrscheinliches, unendlich fragilen Konstrukt. Es hätte anders kommen können.

Maschinen wie ich

Unweigerlich drängt sich die Überlegung auf, ob die geänderte Realität von Maschinen wie ich rein zufällig ist. Oder zieht mit dem verlorenen Falkland-Krieg auch Unheil für Charlie, Miranda und Adam auf? Und was hat es mit Charlies Verehrung des im Roman nahezu allmächtig erscheinenden Alan Turings, der in Wirklichkeit 1954 Selbstmord beging, auf sich? Es ist spannend über die Geschichtsänderungen und andere Anspielungen nachzudenken. Allerdings sind diese so zahlreich, dass das zu einer gewissen Paranoia führt. Warum gibt es nur 12 Adams, aber 13 Evas? Sind die Namen eine Anspielung darauf, dass sich der Mensch zu einem Gott macht, indem er sich in die Schöpferrolle begibt? Und ist nicht Miranda die wahre Eva, wenn sie in einer gemeinsamen Nacht mit Adam von der verbotenen Frucht kostet? Hätte Charlie anders gehandelt, wenn er eine der von ihm bevorzugten Evas ergattert hätte? Warum beschäftigt sich Miranda so eingehend mit den Korngesetzen? Ist es legitim, den auch im realen Leben bereits verstorbenen Labour-Politiker Tony Benn durch einen Bombenanschlag, vorzeitig abzuberufen?

Moralische Übermenschen

McEwans Androiden scheinen so etwas wie ein Ich-Bewußtsein und Gefühle zu haben. Sie bringen sich massenhaft um, weil sie an der schlechten Programmierung – der moralischen Verkommenheit – ihrer biologischen Vorbilder verzweifeln. Ihre rigorose Prinzipientreue macht sie zu moralischen Übermenschen. Aber macht sie das auch zu besseren Menschen? Adam verlangt von Miranda sich wegen Meineids vor Gericht zu verantworten. Weder das Argument, dass sie mit ihrer Straftat für Gerechtigkeit gesorgt hat, noch der Umstand, dass er damit das Glück und Wohlergehen eines Kindes gefährdet, können ihn davon abbringen. Letztendlich ist die Maschine dem Menschen in allem überlegen – vom Aktienhandel bis zur Manneskraft – nur in einen nicht: der Fähigkeit zur Alltagslüge. Sollte uns das nicht zu denken geben?

Viele der einst gepriesenen Neuerungen kamen und gingen

Im Verlauf der Handlung schneidet McEwan verschiedene weitere Aspekte im Umfeld der Künstlichen Intelligenz an, ohne diese näher zu vertieistfen. istEr wirft die Frage auf, in wie weit der technische Fortschritt einen wirklichen Fortschritt für uns Menschen bedeutet. Viele der einst gepriesene Neuerungen kamen und gingen, ohne dass wir uns näher an sie erinnern oder ihnen hinterher trauern würden. Und wäre es wirklich ein Fortschritt, wenn Maschinen unsere Arbeit übernehmen würden und wir mehr Zeit hätten? Vermutlich würde nicht jeder seine Zeit ausschließlich mit schönen Dingen verbringen. Es würden auch Kriminalität und Laster zunehmen. Auf jeden Fall müsste aber darüber nachgedacht werden, wie die Menschen an dem durch die Maschinen erwirtschafteten Gewinn beteiligt werden können, wenn diese ihnen die Arbeit wegnehmen.

Unser tolles Spielzeug begann zu rosten, noch ehe wir es nach Hause tragen konnten, und das Leben ging mehr oder weniger weiter wie zuvor.

Maschinen wie ich

Maschinen wie ich ist spannend, wirkt aber auch ein wenig zu routiniert geschrieben. McEwan prescht im Verlauf der Handlung so schnell durch die Themen, dass man gar nicht dazu kommt einen gerade aufgeworfenen interessanten Gedanken zuende zu denken.

Ian McEwan:“Maschinen wie ich“. Diogenes, Zürich 2019, 416 Seiten, 25,00 Euro.

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